Die Behauptung

No. 1
9. September 2013
Auflage 10 Exemplare

FleischCard vor dem Aus?

Widerstand immer heftiger
Minister weist Rücktrittsforderung zurück
Erste kritische Töne auch aus Geldhäusern

Traf am gestrigen Abend überraschend im Kanzleramt ein: Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
Wegen der FleischCard werfen Kritiker ihm derzeit Starrsinn bis zum Realitätsverlust vor.

Berlin · Nur drei Jahre nach ihrer Einführung droht der FleischCard womöglich bereits ein jähes Ende. In den vergangenen Monaten hatte sich der Widerstand in Medien und Bevölkerung gegen das konsumregulatorische Instrument deutlich verstärkt. Mit Blick auf die bevorstehenden Wahlen im Bund und in zwei Ländern scheint die Haltung nun auch in den Regierungsparteien zu kippen.

Mit dem Ende der FleischCard könnte eines der Prestigeprojekte des Bundesministers für Ernährung, Land- wirtschaft und Verbraucherschutz scheitern. Die im Volksmund als „Speckscheck“ verspottete Plastikkarte war eines der ehrgeizigsten und teuersten Unterfangen der auslaufenden Legislatur. Bis heute sind die Kosten für Einführung und Verwaltung der umstrittenen Zwangsmaßnahme nicht zuverlässig beziffert. Vorwürfe gab es zuletzt nicht mehr nur wegen des Lenkungszwecks der FleischCard, sondern vor allem auch wegen ihrer Verflechtung mit den Banken. Mit der Übertragung von Emissionsrechten der gebührenpflichtigen Fleischguthaben an private Geldhäuser seien diese, so Kritiker, faktisch zu „Zöllnern an unseren Speiseröhren“ gemacht worden. Vor dem Hintergrund des ohnehin schlechten Rufes der Finanzinstitute hatte dieser Aspekt des FleischCard-Debakels der Debatte zusätzlichen Auftrieb gegeben.

Minister will an Plänen zur
FischCard festhalten

Das Ministerium hatte das „professionelle Handling“ der Banken dagegen als wichtiges Argument zur Kostendämpfung ins Feld geführt und die Kooperation zwischen Politik und Wirtschaft als „mustergültige Public- Private Partnership“ ausdrücklich gelobt. Auch in den Banken allerdings schien die Begeisterung über den Gebührenbringer FleischCard jüngst zu schwinden: „Die verbreitete Darstellung, wonach es sich bei der Fleischkarte um eine den Banken von der Regierung zum Geschenk gemachte Cashcow handelt, geht an der Realität vorbei“, so ein Sprecher des Bankhauses André Wange. Die aus den Bearbeitungskosten entstehenden Gewinne seien gering und lägen weit unterhalb der Renditen konventioneller Bankgeschäfte.

Auf die immer lauter werdenden Rücktrittsforderungen reagierte der Minister gestern abend betont gelassen, ja angriffslustig. Ungeachtet des „Gegenwindes“ wolle man an dem „Klimaschutzergänzungsmodul“ einer FischCard festhalten, erklärte er in der Polittalkrunde bei Sabine Willner.

XU steigt ins Geschäft mit In-Vitro-Fleisch ein

Nachdem im August der erste künstlich gezüchtete Hamburger auf einer Pressekonferenz in London vorgestellt und in aller Welt positiv darüber berichtet worden war, peilen große Gen- und Biotech-Unternehmen einen neuen Markt an. Wie XU Labor heute in einer Mitteilung verlautbarte, plane man dort in den kommenden Jahren hohe Investitionen in die Entwicklung von Technologien zur Herstellung von synthetischem Fleisch.

XU Labor sieht in
synthetischem Fleisch
nicht weniger
als den Anbruch
einer neuen
Menschheitsepoche.
Foto: Hersteller

In-Vitro-Fleisch stellt für viele in Wirtschaft, Politik und Öffentlichkeit die Ideallösung eines Dilemmas dar, das in der Unvereinbarkeit von Klimaschutz und Tierverzehr, von Welterhalt und Weltverbrauch, von Leben und Töten besteht. „Frankenfleisch“, wie das Petrischalenprodukt bisweilen scherzhaft bezeichnet wird, habe laut XU „das Zeug dazu, zum Symbol einer neuen Epoche zu werden, die Probleme in Umwelt und Gesellschaft nicht mehr nur soziologisch beklagt, sondern darauf setzt, sie technologisch zu lösen.“

Wo endet eine Gattung, wo beginnt eine andere?

Ein Gastbeitrag aus dem XU Labor

Wir Naturwissenschaftler haben keinen Anlass, auf die unexakten Wissenschaften herabzublicken. Dass unser Umgang mit Natur heute ein freierer ist als jemals zuvor, haben wir nicht zuletzt den Geistes- und Sozialwissenschaften zu verdanken. Oft waren es gerade diese Disziplinen, in denen immer wieder angemahnt wurde: Grenzen, die wir Menschen naiverweise als natürliche begreifen, sollten in Frage gestellt werden. Die scheinbar naturbedingten Grenzen zwischen Dingen, Arten, Klassen – sie sind vielmehr kulturbedingte und sollten als „soziale Konstruktionen“ reflektiert werden. Wer wollte genau sagen, wo die eine Gattung endet, wo eine andere beginnt?

„Die scheinbar
naturbedingten
Grenzen zwischen
Dingen, Arten,
Klassen“
© XU Labor

Schon der Sprachphilosoph Wittgenstein erkannte: „Kannst du die Grenzen angeben? Nein: Du kannst welche ziehen, denn es sind noch keine gezogen.“ Widersinnigerweise ist es aber eben dieselbe Zunft der Geistes- und Sozialkundler, die immer wieder Einwände erhebt, wenn Wissenschaft und Forschung alte Grenzen der Natur zu überwinden oder neue Grenzen zu ziehen lernen. Dann plötzlich können sie kaum genug vor Eingriffen in die natürliche Ordnung warnen. Sie, die mit Recht so gern Pluralismus in der Kultur einfordern, geben sich alarmiert, wenn Pluralität in der Natur vermehrt werden soll.

„Schon der Sprachphilosoph
Wittgenstein erkannte: Es sind
noch keine Grenzen gezogen“
© XU Labor

Welche Erscheinungsformen ein Existenzrecht haben, und welche, um es etwas überspitzt zu sagen, als „lebensunwerte“ auszuschließen seien – das entscheiden diese kritischen Theoretiker gern im Voraus, und vor allem: gern für alle anderen gleich mit. Dass ausgerechnet wir Naturwissenschaftler, während wir den Begriff Natur zu erweitern versuchen, so oft Angriffen von Philosophen ausgesetzt sind, ist also schon eine Ironie der Geschichte. Oder besser gesagt das, wovon sie früher ja selbst gern sprachen: Dialektik der Aufklärung.

Mensch und Tier

Laboratorien, Arenen, Schlachthäuser

Aus: Dialektik der Aufklärung
von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, 1944/47

Die Idee des Menschen in der europäischen Geschichte drückt sich in der Unterscheidung vom Tier aus. Mit seiner Unvernunft beweisen sie die Menschenwürde. Mit solcher Beharrlichkeit und Einstimmigkeit ist der Gegensatz von allen Vorvorderen des bürgerlichen Denkens, den alten Juden, Stoikern und Kirchenvätern, dann durchs Mittelalter und die Neuzeit hergebetet worden, daß er wie wenige Ideen zum Grundbestand der westlichen Anthropologie gehört. Auch heute ist er anerkannt. Die Behavioristen haben ihn bloß scheinbar vergessen. Daß sie auf die Menschen dieselben Formeln und Resultate anwenden, die sie, entfesselt, in ihren scheußlichen physiologischen Laboratorien wehrlosen Tieren abzwingen, bekundet den Unterschied auf besonders abgefeimte Art. Der Schluß, den sie aus den verstümmelten Tierleibern ziehen, paßt nicht auf das Tier in Freiheit, sondern auf den Menschen heute. Er bekundet, indem er sich am Tier vergeht, daß er, und nur er in der ganzen Schöpfung, freiwillig so mechanisch, blind und automatisch funktioniert, wie die Zuckungen der gefesselten Opfer, die der Fachmann sich zunutze macht. Der Professor am Seziertisch definiert sie wissenschaftlich als Reflexe, der Mantiker am Altar hatte sie als Zeichen seiner Götter ausposaunt. Dem Menschen gehört die Vernunft, die unbarmherzig abläuft; das Tier, aus dem er den blutigen Schluß zieht, hat nur das unvernünftige Entsetzen, den Trieb zur Flucht, die ihm abgeschnitten ist.

„Die Affinität der technologisch erzogenen Massen zur völkischen Paranoia“
Horkheimer (links), Adorno

Der Mangel an Vernunft hat keine Worte. Beredt ist ihr Besitz, der die offenbare Geschichte durchherrscht. Die ganze Erde legt für den Ruhm des Menschen Zeugnis ab. In Krieg und Frieden, Arena und Schlachthaus, vom langsamen Tod des Elefanten, den primitive Menschenhorden auf Grund der ersten Planung überwältigten, bis zur lückenlosen Ausbeutung der Tierwelt heute, haben die unvernünftigen Geschöpfe stets Vernunft erfahren. Dieser sichtbare Hergang verdeckt den Henkern den unsichtbaren: das Dasein ohne Licht der Vernunft, die Existenz der Tiere selbst. Sie wäre das echte Thema der Psychologie, denn nur das Leben der Tiere verläuft nach seelischen Regungen; wo Psychologie die Menschen erklären muß, sind sie regrediert und zerstört. Wo man unter Menschen Psychologie zu Hilfe ruft, wird der karge Bereich ihrer unmittelbaren Beziehungen nochmals verengt, sie werden sich auch darin noch zu Dingen. Der Rekurs auf Psychologie, um den anderen zu verstehen, ist unverschämt, zur Erklärung der eigenen Motive sentimental. Die Tierpsychologie aber hat ihren Gegenstand aus dem Gesicht verloren, über der Schikane ihrer Fallen und Labyrinthe vergessen, daß von Seele zu reden, sie zu erkennen, gerade und allein dem Tiere gegenüber ansteht. Selbst Aristoteles, der den Tieren eine, wenn auch inferiore Seele zusprach, hat aber lieber von den Körpern, von Teilen, Bewegung und Zeugung gehandelt, als von der dem Tiere eigenen Existenz.

4500 Schweine pro Schicht

Aus: „Deutschland ist Europas Schlachthaus“
von Marcel Leubecher · Welt Online, 27. Juli 2013

700 Gramm Kotelett für 2,99 Euro liegen in den Regalen eines Discounters. Solche Tiefstpreise ermöglichen Menschen wie Petran Dumitru (Name geändert): Vier Jahre lang hat der 50 Jahre alte Rumäne in einem niedersächsischen Schlachthof Koteletts abgetrennt. Gemeinsam mit seinem sechsköpfigen Team schaffte er etwa 4500 Schweine pro Tag oder Nacht. 1,31 Cent bekam Dumitru pro Tier. […] In den Schlachthöfen ist es üblich, dass ein Arbeiter über Jahre den gleichen Arbeitsschritt macht: Köpfe abtrennen, Schwänzchen kappen oder eben Koteletts abtrennen. Nach einem Monat mit Schichten von bis zu zehn Stunden ging Petran etwa mit 1500 Euro nach Hause, in seinem Schlachthof gehörte er damit zu den Spitzenverdienern. […] Dass Arbeiter wie Petran Dumitru legal deutlich weniger Geld als die Stammbelegschaft erhalten, liegt daran, dass sie über Werkverträge beschäftigt sind. […] In der Fleischbranche ist es seit Jahren üblich, die Stammbelegschaft abzubauen und durch Werkvertragsarbeitnehme zu ersetzen. Dabei stellt ein Schlachthof keine eigenen Arbeiter an, sondern vergibt ein „Werk“, etwa die Zerlegung von einer Million Schweinen, an ein fremdes Unternehmen.Führte Deutschland zur Jahrtausendwende noch deutlich mehr Fleisch aus den EU-Staaten ein als aus, so hat sich das Verhältnis inzwischen umgekehrt.

Das Fressen
und die Moralkeule

Kommentare zum Veggieday

CDU: „Totalitarismus“, Linke: „Diktatur“, FDP: „Faschismus“

Um Orte deutscher Schande zu besuchen, müsste der Bundespräsident nicht ins Ausland reisen. Ein kurzer Spaziergang zur Bundesgeschäftsstelle der Grünen würde ausreichen. So sehen es zumindest Vertreter der CDU, der Linken und der FDP. Den Tiefpunkt der Unmenschlichkeit erreicht für sie der Grünen-Vorschlag, in öffentlichen Kantinen einen freiwilligen fleischfreien Tag einzuführen.

Die Landes- und Fraktionsvorsitzende der CDU in Rheinland-Pfalz Julia Klöckner rief in einem Blog aus: „Was wir definitiv nicht brauchen, ist ein grüner Speisekarten-Totalitarismus!“

Julia Klöckner (CDU) warnt vor der rot-braunen Gefahr auf unseren Tellern

Der Bundesgeschäftsführer der Linken Matthias Höhn verurteilte auf seiner Facebook-Seite die Anregung als „Erziehungsdiktatur“ und attestierte ein „ganz gruseliges Freiheitsbild der Grünen“. Zwar wies ihn auf politische Selbstwidersprüche dieser Äußerung nur Minuten später der Bundestagskandidat der Grünen Christian Franke hin:

„Die Linke bekennt sich mit so einem Statement zur Massentierhaltung und dem viel zu hohen Fleischkonsum in Deutschland. Damit macht sich die Linke zum Steigbügelhalter von Großindustriellen, die mit ihren Agrar-Fabriken Mensch und Umwelt schaden!“

Doch der Linkensprecher erwiderte nur knapp:
„So ein Unfug.“

Besonders extrem bewertete den Grünen-Vorschlag der Marburger FDP-Bundestagskandidat Jörg Behlen auf seiner Facebook-Seite. Neben der Abbildung eines NS-Plakats von 1937, das einen Suppentopf zeigt und die Aufschrift trägt: „80 Millionen eint das Eintopfessen“ schrieb er:

„Aus dem reichhaltigen Fundus der Nazis ergeben sich unendliche Anregungen für die Ökofaschisten…“

Und weiter:

„Die Ökofaschisten sind derart krank in der Birne…“

„Die Grüne Jugend sollte sich ‚Sturmabteilung Sonnenblume‘ nennen.“

„Das große Problem an den linken Ökofaschisten ist nicht die abgrundtiefe Dummheit, Faktenresistenz und Negierung ökonomischer Gesetze sondern, dass sie uns Ihren Scheiß aufzwingen wollen. Sie wollen in Ihrer Hybris uns Ihre Lebensart, Verhalten und kranke Vorstellungswelt oktroyieren. Von mir aus sollen Sie soviel Gemüse futtern, wie sie wollen, aber uns in Ruhe leben lassen.“

„Ich empfehle mal die Lektüre den Ökofaschos von Reichsnährstand, Naturschutz der Nazis-Übereinstimmungen rein zufällig.“ (Satzbaufehler im Original)

Proteste gegen seine Beiträge wies der FDP-Mann zurück. Er könne auch nichts dafür, „wenn bekloppte Nazis und Grüne auf die gleiche absurde Idee kommen, mir an bestimmten Wochentagen Verzehrgewohnheiten vorschreiben zu wollen.“

Fleischkarten blicken in Deutschland auf eine inzwischen fast einhundertjährige Geschichte zurück

NS-Vergleiche haben in der Diskussion um Tierverzehr Tradition. 2004 übernahm die deutsche Sektion der Tierrechtsorganisation PETA die US-Plakatkampagne „Der Holocaust auf Ihrem Teller“. Die Plakate zeigten unter anderem Fotos von KZ-Häftlingen neben Fotos von Hühnern in Legebatterien. Vom Landgericht Berlin und dem Kammergericht Berlin wurden die PETA-Plakate kurz darauf verboten, weil ihre Aussage gegen die Menschenwürde von Holocaustüberlebenden verstoße. Eine 2009 eingereichte Klage PETAs gegen die deutschen Urteile wies der Europäische Gerichtshof 2012 ab.

Eine „Verbotsrepublik“ befürchtete der gegenwärtige Spitzenkandidat der Freien Demokraten Brüderle angesichts solcher Urteile, die das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung einschränken, damals nicht. Die Gefahr einer „Verbotsrepublik“ sieht er vielmehr jetzt heraufdämmern – in der Anregung zu einem freiwilligen wöchentlichen Gemüsetag.

„Ein fairer Umgang mit der Ware Fleisch“

Die ZDFneo Reihe „Beef Buddies“

In einer zehnteiligen Reihe namens „Beef Buddies“ (in etwa: „Rindfleischkumpel“) lässt ZDF Neo drei Sterneköche „ihr ganz persönliches Food Adventure“ erleben. „Ausgesetzt mitten in der Natur sind sie allein auf das angewiesen, was um sie herum kreucht, fleucht und gedeiht.“ Der Sender beschreibt sein Konzept weiter: Zwar prallten hier drei grundverschiedene Charaktere aufeinander, diese hätten jedoch eines gemeinsam: „Sie lieben Fleisch. Und genauso lieben sie Tiere. Daher demonstrieren die drei Köche in Zeiten weltweit steigenden Fleischkonsums und der damit verbundenen Massentierhaltung einen transparenten und fairen Umgang mit der Ware Fleisch.“ Für eine Stellungnahme zu diesem fairen Umgang mit ihr war die fleuchende Ware Fleisch nicht zu erreichen.